Auch in der Schweiz fanden in den vergangenen Monaten Co-Creation Workshops statt. Wir vom Institut für Altersforschung (IAF) der Ostschweizer Fachhochschule (OST), geben in diesem Blog-Eintrag einen Eindruck von der dritten Workshoprunde, welche Ende November/Anfang Dezember 2021 in St.Gallen stattfand. Der Fokus der Workshops lag auf der «Usability», also der Benutzendenfreundlichkeit der Plattform, welche durch drei Komponenten definiert ist: die Navigation, das Verständnis und die Zugänglichkeit der Heroes-Plattform. Es ist wichtig, dass die Plattform möglichst intuitiv zu bedienen ist, da es sonst schnell zu Frustration und Ablehnung durch die Nutzenden kommen kann.
Unsere Workshops konnten vor Ort bzw. in Präsenz stattfinden. In einem eins zu eins Setting war es uns möglich die «user flows» genau nachzuvollziehen und zu dokumentieren. Es nahmen drei Personen, welche Kandidat:innen (Betreuende und Pflegekräfte) und drei Personen, welche Rekrutierende (Familienmitglieder) repräsentierten, teil. Insgesamt gab es in der dritten Workshoprunde länderübergreifend 24 Teilnehmende. Wir entschieden die Plattform über eine Webversion auf dem Laptop zu testen.
Ziel der Workshops
Die Teilnehmenden bekamen die Arbeitsaufgaben schriftlich. Je nach Rolle wurden sie gebeten sich ein fiktives Profil durchzulesen und sich in die Situation hineinzuversetzen. Die verschiedenen Profile waren
1) Anna, eine Pflegefachperson auf Jobsuche
und
2) Sorin, ein 77-järiger Mann, welcher Unterstützung bei der Raumpflege und beim Einkaufen benötigt
Ziel dieses Workshops war es, ein besseres Verständnis zu entwickeln, wie die Endnutzenden durch die Plattform navigieren. Daher gab es vier Aufgabenstellungen, sogenannte «use cases» (Kulak & Guiney, 2012) zu bearbeiten, um bestimmte Teile der App möglichst ohne Unterstützung der Workshopleitenden durchzuspielen. Das ermöglichte die sogenannten «user flows», also wie Personen durch die Plattform navigieren, sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Dies ist für die Weiterentwicklung der App essenziell, denn nur so kann festgestellt werden, welche «flows» intuitiv schon gut funktionieren und welche eben noch nicht funktionieren bzw. verbessert werden müssen.
Thinking Aloud – Thinking Allowed!
Während die Teilnehmenden die Aufgaben zu lösen versuchten, baten wir sie ihre Gedankengänge laut auszusprechen und somit explizit zu machen (thinking aloud). So konnten wir hören und verstehen, wo Schwierigkeiten auftauchten und wie die Teilnehmenden diese zu lösen versuchten. Weiter registrierten wir auch, welche «Flows» ohne oder mit wenig Hilfe gelöst werden konnten und welche nur mit Hilfe zu lösen waren. Zusätzlich wurde auch die Aktivität am Laptop-Bildschirm aufgenommen, um die «Flows» später noch nachvollziehen zu können. Wir stellten spontan Verständnisfragen und am Ende holten wir noch ein allgemeines Feedback zur neuen Version der Plattform ein.
3 Aufgezeichnete "user flows"
Die «Concurrent Think Aloud» Methode, also das Explizit Machen der Gedankengänge beim Bearbeiten der Aufgaben gilt als besonders hilfreich und effektiv für Usability-Tests (Ericsson & Simon, 1993), um im Detail zu verstehen, wie die Teilnehmenden beim Lösen eines Problems vorgehen und über die einzelnen Teile der Plattform bezüglich der Navigation, dem Verständnis und der Zugänglichkeit denken und fühlen. Dies bedarf auch einer enormen Konzentration und Sensibilität der wissenschaftlichen Mitarbeitenden, da sie die einzelnen Schritte der Teilnehmenden mitprotokollieren und gleichzeitig auch immer nachfragen und genau zuhören. So konnten wir wichtige Inputs der Teilnehmenden sammeln, welche sich alle sehr engagiert zeigten. Ihnen war es sichtlich wichtig zur Weiterentwicklung der Plattform beitragen zu können. Sie teilten viele wertvolle Gedanken mit uns und sprachen auch Verbesserungsvorschläge offen aus.
Erneut war das Thema Wording ein sehr wichtiges. Wie Begrifflichkeiten verwendet werden, ist für manche Teilnehmenden noch unpassend. Bezüglich Betreuung und Pflege ist die Sprache sehr sensibel und wir stellen immer wieder fest, selbst in unterschiedlichen deutschsprachigen Ländern wie Österreich und der Schweiz unterscheiden sich diese sprachlichen Nuancen wesentlich. Weiter wurde auch deutlich, dass für jüngere Nutzende die Plattform intuitiver zu bedienen scheint als für ältere. Hinsichtlich der Navigation und dem Verständnis der App scheint es noch mehr Entwicklungsbedarf zu geben als bezüglich Themen, welche die Zugänglichkeit bzw. Bedienbarkeit betreffen.
Reflexionen:
Auch aus der dritten Workshoprunde können wir wichtige Erkenntnisse ableiten:
- Genug Zeit einplanen
Je nach Nutzendengruppe sind manche Teilnehmenden in der Bearbeitung der «use cases» schneller, während andere viel mehr Zeit benötigen. Wir sollten daher also beachten, dass auch gut definierte Nutzendengruppen in sich immer noch sehr divers sein können.
- Eine wertschätzende Atmosphäre schaffen
Workshopleitenden sollte immer bewusst sein, dass sich die Teilnehmenden nicht in ihrem gewohnten Umfeld bewegen, sondern in die Welt der Workshopleitenden eintreten. Somit ergibt sich alleine durch das Setting ein Machtgefälle, welches bei Teilnehmenden schnell Stress und Verunsicherung auslösen kann. Gerade bei der Methode des «Concurrent Think Aloud», machen sich Teilnehmende vulnerabel, vor allem dann, wenn sie nicht souverän durch die Plattform navigieren. Wichtig ist deshalb eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, und anfangs zu erwähnen, dass es nicht um die Performance der Teilnehmenden geht, sondern um die Plattform und ihre Benutzendenfreundlichkeit.
- Sich in Zurückhaltung üben
Es passiert leicht, dass man als Expert:in schnell den Impuls verspürt eingreifen zu müssen oder den Teilnehmenden helfen zu wollen. Es ist für Workshopleitende wesentlich sich in Zurückhaltung zu üben. Hier ist es wichtig erstmal abzuwarten, ob die Teilnehmenden den «use case» alleine durchführen können und erst, wenn sie nachfragen oder aufgeben einzugreifen. Bis dahin sollte man sich eher auf die laut ausgesprochenen Gedanken konzentrieren und diese genau mitschreiben, sowie die Navigationswege dokumentieren. Es kann auch hilfreich sein, wenn dies zwei Personen machen, damit möglichst wenig Information verloren geht, oder die Bildschirm Aktivität aufzunehmen (z.B. mittels der Software Snagit). Obwohl es sich bei Co-Creation Workshops um ein interaktives Format handelt, ist die Herausforderung einen guten Mittelweg zu finden, die Leute ins Sprechen zu bringen, selbst aber eher wenig aktiv zu agieren. Es passiert allzu einfach, jemanden blosszustellen, weil man mal kurz lacht oder vorschnell eingreift. Die Teilnehmenden navigieren oft das erste Mal durch die Plattform, deshalb ist es wichtig zu überlegen, wie man Fragen stellt. Dies erfordert Feingefühl und Sensibilität.
Nächste Schritte und Ausblick
Die Dokumentation der Workshops wird in eine Tabelle eingespeist, wo alle Projektpartner:innen ihre Ergebnisse zusammentragen. Nach einem gemeinsamen Besprechen der Ergebnisse, werden diese technisch umgesetzt und die Plattform weiterentwickelt, um für die im nächsten Jahr (2022) beginnenden «field trials» in einer möglichst benutzendenfreundlichen Version zur Verfügung zu stehen.
In den «field trials» werden potenzielle Endnutzende über 12 Monate hinweg die App regelmässig nutzen und testen. Hierfür werden auch in der Schweiz freiwillige Teilnehmende gesucht. Es handelt sich hierbei um einen Testlauf der Plattform, d.h. es wird mit fiktiven Beispielen gearbeitet.
Wir sind gespannt, wie die Plattform für die «field trials» erscheinen wird und blicken einem spannenden neuen Jahr entgegen.
Quellen:
Ericsson, K. A., & Simon, H. A. (1993). Protocol analysis: Verbal reports as data (Revised ed.) Cambridge, MA: MIT Press.
Kulak, D., & Guiney, E. (2012). Use cases: requirements in context. Addison-Wesley.